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Geschichten auf die Charaktere zuschneiden

Eine Antwort auf den Beitrag in The Prussian Gamer, nach dessen Aussage (etwas überspitzt gesagt) jedes Beugen von Regeln schlecht ist, die SL immer alles dem Zufall überlassen soll und nichts zu wollen hat [1].

Mit einer rein tabellenzentrieren Spielweise gibst du die Möglichkeit auf, komplexere Handlungsstränge zu weben und Abenteuer auf die Spieler und Charaktere zuzuschneiden.

Geschichten auf die Charaktere zuschneiden

Wenn ich eine Runde leite, überlege ich mir eine Hintergrundgeschichte und denke darüber nach, welche Ereignisse für die Charaktere interessant sein könnten. Entsprechend erhalten sie dann auch passende Artefakte und kommen in entsprechende Situationen, denn das Spiel dreht sich um die Charaktere, und nicht nur um die Auswirkungen, die ihre Handlungen in zufälligen Situationen haben.

Wenn der Priester Panik davor hat, dass das Artefakt in die Hände der Orks fallen, dann wird es auch eine Situation geben, in der genau das auf dem Spiel steht. Und wenn ein Charakter als wichtigsten Charakterzug die Obrigkeit verabscheut, dann treffen sie irgendwann auf eine Gruppe Ritter, die Recht und Ordnung in abgelegenen Gegenden herstellen wollen, und vielleicht wird er angeklagt.

Wenn ein Charakter ein latenter Psioniker ist, dann wird er in Situationen kommen, in denen seine Psi-Fähigkeiten hervorbrechen, denn dafür hat der Spieler seinen Charakter zu einem latenten Psioniker gemacht.

Wenn du all das in Zufallstabellen abdecken kannst, musst du über das wohl kaum nachdenken. Sobald du dann aber mit einem Charakter konfrontiert bist, der nicht ins Schema passt, zerbröselt dein System.

Das heißt jetzt eben nicht, dass ich auf Biegen und Brechen und gegen die Wünsche der Spieler eine Geschichte durchpeitsche, sondern im Gegenteil, dass ich aktiv die Geschichte an die Charaktere anpasse.

Durch Zufallstabellen und Reaktion auf die Spielerhandlungen entsteht eine Geschichte, die sich teils um die Welt, teils um die Spieler dreht, aber bei beidem weit von den vollen Möglichkeiten der Geschichte entfernt ist.

Denn nicht jeder Teil der Welt ist für jede Gruppe von Charakteren wirklich interessant, und warum sollte ich eine Gruppe durch langweilige Situationen leiten? Frag Autoren: Wann war das letzte Mal, dass du ein Buch gelesen hast, in dem die Charaktere keine persönlichen Konflikte in dem Bereich hatten, in dem sie waren? Warum bringen Autoren Charaktere in Situationen, die etwas mit ihrer Vergangenheit oder Psyche o.ä. zu tun haben? Weil das die spannenderen Konflikte ergibt!

Wer jetzt jede Situation irgendwie spannend macht, passt die Geschichte schon den Charakteren an - und hält sich nicht mehr sklavisch an Würfel und die vorgegebene Welt.

Komplexe Handlungsstränge

Noch einen Schritt vorwärts zu komplexen Handlungssträngen: Für mich wird eine Geschichte auch als Spieler interessanter, wenn ich nach langem Spiel plötzlich Verbindungen finde und sich größere Zusammenhänge erschließen, die alles in ein neues Licht rücken. Als SL versuche ich ähnliches zu schaffen.

Natürlich könnte ich sagen "OK, die Spieler haben das Schloss gebrandschatzt und sind fröhlich von Dannen geritten, während die panischen Schreie von Frauen, Männern und Kindern noch die Luft erfüllten. Hat jemand überlebt? Würfeln wir mal! ... nein. Hat es jemand mitbekommen. Würfeln wir mal! ... nein. OK, keine Konsequenzen."

Viel interessanter wird es aber, wenn jemand aus dem Schloss überlebt hat und Jahre später den Charakteren auflauert. Je nachdem, wie viel Spaß die Spieler an solchen Konsequenzen haben, hat er vielleicht einen ganzen Söldnertrupp in der Hinterhand.

Klar könnte ich auch warten, bis sie das nächste Schloss abfackeln; irgendwann werde ich schon Überlebende erwürfeln. Stattdessen kann ich aber auch gleich die interessantere Situation wählen.

(das gilt nur für den Fall, in dem die Charaktere nicht explizit darauf achten, jeden zu töten - wenn die Charaktere direkt involviert sind, würfle ich nicht auf einer Zufallstabelle, sondern wir würfeln direkte Interaktionen aus, und da sollte sich meiner Meinung nach die SL an die Ergebnisse halten - es sei denn es gibt wirklich wichtige Gründe dagegen, z.B. eine Gruppenabsprache, dass Charaktere nur durch wirklich forciert dummes Handeln sterben. Wenn ein wichtiger NSC aktiv getötet wird ist das Pech - dann muss ich den geplanten Handlungsstrang ändern, egal wie unpraktisch das gerade für die Geschichte scheint. Danke an TheClone [2], dass er mich konstruktiv [3] darauf hingewiesen hat, dass der Abschnitt missverständlich war!)

Kurz gesagt

Unsere Geschichte ist für mich nicht nur ein Erkunden von Material, das andere für uns geschrieben haben, sondern ergibt sich aus dem Zusammenspiel unserer Kreativität (ob nun in der Erzählung der SL oder den Handlungen der Charaktere). Das vorliegende Material liefert uns dabei Inspiration und eine gemeinsame Grundlage, auf der wir aufbauen können. Dafür suchen wir uns aus ihr die schönsten und passendsten Ideen heraus, die wir zu einer neuen Geschichte verweben.

Und wenn ich die Welt selber entwerfe, und Zufallstabellen schreibe, die schöne Geschichten ergeben sollen, kann ich genausogut direkt die schönsten Geschichten wählen, statt den Umweg mit den Tabellen zu gehen.

Gleichzeitig gibst du mit der Zufallsfixierung übrigens auch die Möglichkeit auf, Szenen ausführlicher zu planen, denn auf was willst du dich vorbereiten? Du weißt noch nicht, welches Artefakt die Spieler finden werden. Wenn du es dagegen wüsstest, hättest du dir vorher eine stilvolle Beschreibung des Artefakts überlegen können, die tiefer geht als das, was du an Beschreibung aus dem Ärmel ziehen kannst.


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Links:
[1] http://hofrat.blogspot.com/2009/03/anders-gesagt.html
[2] http://blogs.cloneworks.de/herzlich
[3] http://draketo.de/licht/krude-ideen/konstruktive-kritik